#32 Nebel, dahinter Montenegro

Die Grenze nach Montenegro ist die Einsamste, die wir auf unserer Reise passieren. Umgeben von wundervoller Landschaft quält sich Frieda mal wieder einen Pass hinauf. In mitten der Berge liegen Schalter und Grenzhäuschen. Wir sind die Einzigen. Kein anderes Auto weit und breit. Die Grenzbeamtin benötigt dennoch ewig, um unsere Dokumente zu prüfen. Möglicherweise lenkt sie ihr Telefonat, das eher nach Rezeptaustausch als nach beruflichem Anliegen klingt, doch zu sehr ab. Die Tür des Grenzhäuschen geht auf. Ein Grenzbeamter schlendert auf uns zu. Schaut ein wenig skeptisch unser Auto an und fragt „Camping“? Wir nicken eifrig. Bloß keine Durchsuchung, sonst kommen wir nie am heutigen Schlafplatz an. Wir erhalten unsere Pässe. Multitasking scheint der Dame nicht zu gelingen. Jasmin hat ihren Stempel auf eine völlig falsche Seite bekommen. Was soll es. Wir sind in Montenegro. 

Die ersten Kilometer laufen hervorragend. Keine Spur mehr von den holprigen Straßen Herzegowinas, die uns die letzten Stunden gut durchgeschüttelt haben. Die Freude hält jedoch nur kurz an. Eine kleine Schlange von parkenden Autos taucht vor uns auf. Ein Stau mitten in den Bergen. Wir beobachten die Autos vor uns. Kein Schild, keine Ampel, kein Baustellenarbeiter mit Kelle. Aber die Einheimischen warten. Eigentlich ein gutes Zeichen, aber die Betonblöcke, die als Straßenbarrikade platziert wurden, lassen uns doch zweifeln. Wie lange steht man hier wohl? Dominik hat schließlich genug und läuft zum Anfang der Schlange. Ebenfalls kein Hinweis. Aber der Fahrer des führenden Autos im Stau kann helfen. Wir warten lediglich wegen Straßenarbeiten, in einer halben Stunde soll es weiter gehen. In solchen Momenten kann Frieda nur punkten. Während alle anderen Fahrer ungeduldig auf ihr Lenkrad trommeln, klettert Jasmin in Friedas Wohnraum und zaubert fix einen kleinen Nudelsalat. Pünktlich zum Weiterfahren sind wir mit unserem kleinen Picknick fertig.

Straßensperren aufgrund von Bauarbeiten hatten wir schon einige auf unsere Reise, aber Montenegro weiß das doch zu übertreffen. Plötzlich endet der Asphalt der Straße und wir fahren auf schlaglochübersehenem Schotter weiter. Ein Stauauto, das vorwegfährt gibt es nicht. Warum also die Spur halten. Kein Auto fährt mehr hintereinander. Alle versuchen die LKWs zu überholen. Wir auch, denn neben durchaus durchgerosteten Transportern, neben denen Frieda aussieht wie ein Neuwagen, gibt es auch LKWs in diesem Zustand. Und so neigt sich der Wagen vor uns von links nach rechts. Wippt asynchron zum Rhythmus der Schlaglöcher. Es sieht aus als würde er wie ein Kartenhaus zusammenfallen und die Autos neben sich begraben. Jasmin kann sich zwischen filmen und Augen zuhalten nur schwer entscheiden. Wir passieren gerade den LKW, da taucht auf der Schotterpiste plötzlich Gegenverkehr auf. Sie haben tatsächlich beide Straßenseiten geöffnet. Das ist neu! Die Strecke will kein Ende nehmen. Wir atmen sichtlich erleichtert auf, als wir wieder auf Asphalt rollen und alle in der gleichen Spur fahren.

Der erste anvisierte Schlafplatz mit Blick auf einige Seen ist ein Reinfall. Er entpuppt sich als eine kleine Haltebucht kurz vor einer Hauseinfahrt mit Sumpfblick. Eher nicht. Und so fahren wir quer durch Montenegro, um im Nordosten des Landes in einem Nationalpark zu übernachten. Es dauert nicht lang bis sich ein wenig Unmut in unsere Fahrerkabine breit macht. Es wird dunkel. Der Regen scheint auf uns gewartet zu haben. Die Felder neben den Straßen stehen unter Wasser, es peitscht gegen die Windschutzscheibe. Keine guten Bedingungen, um einen Schlafplatz in einem neuen Land zu suchen.  Unsicher ob diese Wetterbedingungen ebenfalls auf unseren Stellplatz zutreffen, steuern wir zunächst ein Wanderer Heim an. Frieda blinkt eh und wir wollen nur noch schlafen. Nachdem dem Gespräch mit der Inhaberin, sind wir jedoch ein wenig unentschlossen und so dürfen wir uns eine der Hütten anschauen. Spartanisch wäre hier zu viel als Beschreibung. Der Preis von 30 Euro und die Einrichtung wecken dann doch unseren Ehrgeiz nach einer Alternative zu suchen. Pitschnass von dem kurzen Fußweg, steigen wir ins Auto und fahren weiter. Zu allem Überfluss führt der Weg zum Nationalpark noch über einen Pass, der in den Wolken hängt. Mit 50 Meter Sicht kämpfen wir uns über den Berg hinauf, die Lust weiterzufahren sinkt exponentiell. Während Dominik Frieda die Serpentinen herauf und hinab steuert, sucht Jasmin akribisch nach alternativen Schlafmöglichkeiten. Irgendwie ist nicht das Richtige dabei und so geben wir unserem Stellplatz nahe Žabljak zumindest eine Chance. 

Es ist ein stillgelegter Mini Campingplatz mit vier ebenen Haltebuchten am Eingang des Nationalparks. Der Weg dorthin führt durch dichten Wald. Am Wegesrand scheinen einige Ferienhäuser zu stehen und sonst sehen wir nur pechschwarze Nacht. Der Weg in den Wald kommt uns weit vor. Ein wenig unheimlich. Laut unserer Übernachtungsapp sollen wir die Schranke zu den Stellplätzen einfach umfahren und tatsächlich führt links der Schranke ein mittlerweile sehr matschiger und aufgewühlter Weg vorbei. Uns gelingt das Passieren ohne stecken zu bleiben. Es steht bereits ein anderer Camper dar. Die hohen Tannen hüllen uns ein und schützen perfekt von dem tosenden Wind. Wir bleiben, dennoch ist die Nacht eher unruhig. Der Regen prasselt einfach zu laut auf Friedas Dach.

Obgleich das Wetter am Morgen nicht besser wird, wollen wir den Tag zum Verschnaufen nutzen. Zum Einen war Bosnien super schön, aber auch derart ereignisreich, dass eine Pause gerade gelegen kommt, zum Anderen ist auf der gesamten Balkanhalbinsel nirgends besseres Wetter in Sicht. Die letzte Norwegenwoche hat uns aber gelehrt, unsere Reiseausrüstung aufzustocken. Beim Zwischenstopp in Deutschland wurde unsere Garderobe um Regenmantel, Regenhose und Gummistiefel erweitert. Und so wandern wir in Kunststoff gehüllt zum See Crno Jezero.

Jasmins Gummistiefelwahl lässt uns nach einigen Metern vom Waldweg auf die Straße ausweichen. Die Pfützen sind einfach zu tief. Der Weg durch den Wald ist aber auch an der Straße sehr schön und der See erst recht. Ins Deutsche übersetzt bedeutet Crno Jezero „Schwarzer See“. Irgendwie unerklärlich, da er im wunderbaren blau aus dem trostlosen grauen Wetter hinausstricht. Ein Postkartenmotiv durch die dahinter liegende Bergspitze des Međed, einem Gipfel des Dormitormassives.

Trotz der Schönheit der Natur, knurren unsere Bäuche. Es gab noch kein Frühstück. Auf dem Rückweg entdecken wir eine kleine Toilette im Wald. Jasmin will gerade in Richtung Holzhütte gehen, als Dominik neben ihr kurz erstarrt. „Da ist ein Hund“. Jasmin dreht sich und starrt in den dunklen Wald. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt sie den gut getarnten Rotweilermischling. Klein, kompakt und mit einem viel zu großen Kopf für seinen Körper schleicht er mit bedrohlicher Körperhaltung auf uns zu. Juli freut sich und scheint in ihm eher einen Spielpartner zu sehen. Es braucht eine Sekunde bis wir uns sammeln. Wir reden liebevoll auf ihn ein. Ein zweiter Blick verrät, der Hund ist deutlich älter und hinkt. Vorsichtig nähert er sich uns, Juli benimmt sich aber glücklicherweise und die Beiden scheinen sich zu verstehen. Es dauert nicht lang bis wir die nächste Straßenhündin treffen. Auch sie kommt aus dem Wald, ist aber deutlich verängstigter. Den Schwanz zwischen die Beine geklemmt, traut sie sich kaum an Jasmins Hand zu schnuppern. Dem Bauch nach muss sie irgendwo Junge versteckt haben. Leider haben wir nichts für sie dabei. Hier fällt es schwer weiterzugehen.

Der Stellplatz ist gut und so bleiben wir eine zweite Nacht. Auch diese ist nicht leiser. Diesmal ist es nicht nur der Regen, aus dem Wald dringen Geräusche zu uns. Hören wir erst ein Tier um Frieda herumschleichen, bellen später in kurzen Abständen zwei Hunde, als würden sie jemanden oder etwas verjagen. Gespannt starren wir in die Dunkelheit. Nichts zu sehen. Selten waren wir der Wildnis so nah. Irgendwie eine aufregende Nacht. Gerne wären wir hier länger geblieben, hatten wir uns auf den Nationalpark doch so gefreut, aber es bringt nichts. Der Regen will nicht enden. Die Gegend zu erkunden, ist nur erschwert möglich. Und nur in Frieda sitzen wollen wir nicht. So beschließen wir kurzerhand nach Albanien weiterzufahren. Zum Glück ist Montenegro nicht groß, so dass wir nur knappe vier Stunden für die Fahrt benötigen. Der Rückweg durch die schöne Landschaft gefällt uns, bringt das Tageslicht auch die verschmutzen Straßen am Wegesrand zum Vorschein. Da Montenegro insgesamt moderner als Bosnien wirkt, ist die verschmutzte Umgebung hier irgendwie befremdlicher. Vielleicht müssen wir Montenegro einfach eine zweite Chance bei besserem Wetter geben.