#29 in Sarajevo „zuhause“

Sarajevo, ein Beitrag, der uns besonders am Herzen liegt, um so schwieriger war es ihn zu schrieben und den Erlebnissen und Begegnungen gerecht zu werden. Auf unserer Reise wurden wir oft herzlich begrüßt, freundlich aufgenommen und haben interessante Gespräche mit tollen Menschen geführt. Aber Sarajevo hat unsere kleine Reisewelt ein wenig gedreht und nie ist uns der Abschied von einer Stadt so schwergefallen.

Die meisten von uns haben Kriegsbilder im Kopf, wenn sie an Sarajevo denken. Wir inklusive. Unseren Städtetrip beginnen wir auch mit diesem traurigen Kapitel, mit dem Besuch des Museums dem „Tunnel of Life“. Es zeigt einen Ausschnitt des lebensnotwendigen Versorgungsweges während der Belagerung von 1992 bis 1995 zwischen den beiden fast voneinander getrennten Gebieten Sarajevos. Vor dem Museum findet sich eine der „Rosen von Sarajevo“. Nach dem Krieg wurden 100 Stellen an denen Menschen durch Granaten getötet wurden als Mahnmal rot eingefärbt. In den nächsten Tagen werden uns noch mehr davon begegnen.

Solche Museen gehen nie spurlos an einem vorbei und so verlassen wir ein wenig bedrückt den Tunnel. Die Freundlichkeit der Menschen holt uns aber in die Realität zurück. Wir haben noch eine Stunde Zeit bis zum verabredeten Check-In in unsere Airbnb Unterkunft und wollen mit Juli ein paar Meter am Feldweg spazieren gehen. Nicht die schönste Ecke, aber es reicht für ein paar Meter Bewegung. Der Wachhund des Nachbarparkplatzes möchte uns aber einfach nicht gehen lassen. Beherzt springt unser Parkplatzwächter dazwischen und ermöglicht uns ein problemfreies Kommen und Gehen. Wir freuen uns über so viel Hilfsbereitschaft.

Gespannt fahren wir quer durch Sarajevo zu unserer Unterkunft für die nächsten zwei Nächte. Es war nicht leicht ein zentrales Apartment mit privatem Parkplatz, der groß genug für Frieda ist und einen Vermieter, der Hunde akzeptiert zu finden. Nach einigen Kontaktaufnahmen lädt uns am Ende Hava zu sich ein. Wir sind mit allen Randbedingungen willkommen. Im wahrsten Sinne. Angekommen klingelt Jasmin als Erste an der Tür, Hava öffnet und strahlt ihr entgegen, empfängt sie mit offenen Armen. Aus dem Haus strömt ein leichter Duft von frisch gebackenem Kuchen. Es weckt die Erinnerung, von nach Hause kommen in den Semesterferien. Hier werden wir uns wohl fühlen!

Ihr Mann Smil kommt dazu und ist überrascht: „Ihr seid ja noch so jung!“ Während Dominik von unseren bisherigen Erlebnissen in Bosnien & Herzegowina berichtet, zeigt Hava Jasmin das Apartment. Es ist gemütlich und hat eine Waschmaschine! Jasmins Herz schlägt höher. Eine warme Dusche, eine Waschmaschine und WLAN sind Dinge, die wir auf unserer Reise mittlerweile als absoluten Komfort empfinden. Gebucht haben wir für unglaublich faire 25€ die Nacht. Für das gleiche Geld möchtet Hava Jasmin das mehr als doppelt so große und alleinstehende Gästehaus anbieten. Da wären wir unter uns und haben mit dem Hund mehr Platz. Hier treffen Kulturen aufeinander. Wir sind gerne gute Gäste und möchten so wenig Aufwand wie möglich verursachen. Wir haben alles was wir brauchen, aber Bosnier sind unglaublich herzliche Gastgeber und so willigt Jasmin nach einigem Hin und Her ein.

So viel Platz hatten wir seit sehr langer Zeit nicht mehr für uns. Das Haus ist so schön warm. Unsere Gastgeber bringen nach dem Auspacken selbst gebackenen Kuchen vorbei. Es gibt für jeden von uns ein Stückchen Himbeerschmandkuchen und ein Stückchen traditionellen Honigkuchen. Lecker! Wir wollen das Heimeliche genießen. Heute gehen wir nicht mehr aus. Zum Kochen haben wir keine Lust und so fragen wir Hava, ob wir in der Nähe essen bestellen oder irgendwo essen gehen können. Sie zeigt uns einige Flyer und fragt dann vorsichtig, ob wir ihr Essen probieren möchten. Sie haben gerade selbst Gäste und sie hat eine Suppe und eine Art Krautwickel zubereitet. Freudig stimmen wir zu. Besser kann man lokales Essen auf Reisen nicht probieren. Und es schmeckt hervorragend. Vor allem die Krautwickel haben es uns angetan. Wohlig satt genießen wir den Abend auf dem Sofa, während die Waschmaschine ihm Nachbarzimmer ihr Schleuderlied summt.

Am nächsten Tag erkunden wir endlich Sarajevo. Wir haben uns eine Free-Walking-Tour bei Neno and friends ausgesucht. Diese Touren gibt es mittlerweile in vielen Städten. Es gibt keinen festen Preis. Am Ende zahlt jeder, was ihm die Tour wert war. Sie startet um 10:45 Uhr vor dem Nationaltheater. Laut Google sind es nur drei Bushaltestellen. Zuhause machen wir noch schnell einen Screenshot von der Busverbindung. Leider hat weder die Haltestelle ein Namensschild, noch haben die wenigsten Busse eine Nummer oder ihr Fahrziel ausgeschildert, ganz zu schweigen von einem Fahrplan.

Die Haltestelle erkennen wir nur anhand der Bushaltespur. Wir zeigen jedem Busfahrer den Screenshot unserer Verbindung und fragen nach der Haltestelle „Poŝt“? Die ersten zwei Busfahrer schütteln den Kopf. Eine Frau bemerkt Jasmins Ein- und Aussteigen und beratschlagt kurzerhand mit dem letzten Busfahrer, welcher Bus für uns der Richtige ist. Wir haben Glück und die Dame spricht ein wenig deutsch. Sie hilft uns den passenden Bus zu finden, den sie selbst zufällig auch nehmen möchte. Auf die Frage wann der Bus kommen wird, lacht sie nur, zuckt mit den Schultern und vermittelt uns, dass er eigentlich schon hätte da sein sollen. In dem Moment biegt er um die Ecke. Beim Einsteigen winkt sie uns hinter sich her, spricht mit dem Busfahrer und setzt sich. Als Dominik dem Busfahrer Geld für unser Ticket geben möchte, winkt der nur durch. Die Frau ebenfalls. Wir sind verwundert. Wir müssen doch bezahlen. Dominik hält noch einmal den Geldschein hin. Beide winken wieder. Die Frau zieht Jasmin am Ärmel. Wir sollen durchgehen. Eine Dame an einem Vierer-Sitzplatz zeigt Jasmin den freien Sitz. Sie soll sich setzen. Ihre Sitznachbarin unterhält sich quer durch den Bus mit der helfenden Dame von eben. Drei Haltestellen später zeigen uns beide, dass wir jetzt aussteigen sollen. Wir bedanken uns noch einmal beim Busfahrer und stehen an der Haltestelle „Poŝt“. Die helfende Dame muss auch austeigen und zeigt uns den Weg zum Nationaltheater. Wir sind verblüfft und zugleich berührt welch Freundlichkeit uns entgegengebracht wird.

Klischeemäßig sind wir die Ersten am Treffpunkt. Nach und nach füllt sich unsere Gruppe, die bunter an Nationalitäten nicht sein könnte. Unser Guide Neno ist in unserem Alter und war 7 Jahre alt als Sarajevo belagert wurde. Er und seine Familie waren den gesamten Krieg über in der Stadt, wie ca. 300.000 weitere Einwohner. Er erzählt, dass viele Touristen, die keinen Krieg kennen, nicht nachvollziehen können, wie das „normale“ Leben im Krieg weiterlief. Seine Mutter ging bspw. weiterhin zur Arbeit. Sie liebte hohe Schuhe und hat auch zu Kriegszeiten nicht darauf verzichtet. Sehr zum Ärgernis seiner Schwester, sie meinte „Es ist Krieg. Du musst schnell rennen können.“ Aber seine Mutter wollte, wenn sie stirbt, gut angezogen sterben. Neno erzählt, dass diese Art von schwarzem Humor einen solche Erlebnisse überstehen lassen. Seine Familie hätte jeden Tag beim Anstehen beim Bäcker oder beim Wasserholen an der Brauerei, erschossen werden können, wie über 11.500 Andere in diesen drei Jahren auch. Seine Familie hat überlebt und so spricht er sehr offen über diese Zeit. Und beantwortet uns alle Fragen.

Die Zeit des Krieges dominiert Nenos Tour aber nicht. Er bemüht sich um ein gutes Gleichgewicht aus historischen Ereignissen, wie der Gründung zu Zeiten des osmanischen Reiches, dem Entwicklungsfortschritt unter dem österreichischen-ungarischen Einfluss, dem Anschlag auf Franz Ferdinand und damit dem Auslöser für den 1. Weltkrieg, der Zeit unter Tito und dem was Sarajevo heute ausmacht. Es ist ein toller Mix aus sachlicher Darstellung und persönlichen Geschichten.

Die Tour macht Lust darauf die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Und wie kann man das besser als hier essen zu gehen. Wir schlendern durch die Gassen von Basčarscja , in denen trotz unzähliger Souvenirläden dank autofreiem Bereich auch nach wie vor viele Einheimische unterwegs sind. Wir entscheiden uns für ein Lokal und haben offensichtlich richtig gewählt. Um uns wird nur bosnisch gesprochen. Oft ein gutes Zeichen. Für 15 Euro inklusive Getränk essen wir unglaublich gut. Es gibt die typischen Fleischgerichte mit Fladenbrot. Wir sind die Einzigen, die einen Salat dazu bestellen. Das dazugehörige hervorragende Essig-Öl-Dressing lässt uns aber gerne zu Außenseitern werden.

Beim Schlendern durch die Gassen finden wir einen kleinen Laden für Nähzubehör. Jasmins Hose ist an einer Stelle gerissen und muss für die letzten Wochen noch einmal geflickt werden. Wir haben schließlich nur zwei Hosen dabei. Dem netten Ladeninhaber erzählt Jasmin, wofür sie das Nähgarn benötigt und möchte gerade schon ein 2 Mark Produkt bezahlen, als er ihr ein noch Günstigeres zeigt. Leider haben wir kein Kleingeld mehr dabei und er kann nicht wechseln. Er möchte es uns schenken. Als wir ablehnen, sagt er lachend, dass sein Geschäft deswegen schon nicht bankrottgehen wird. Wir versprechen beim Kaffeetrinken Geld zu wechseln und wiederzukommen. Er winkt ab und sagt freundlich: „Ihr könnt auch morgen wiederkommen oder übermorgen. Keine Eile.“ Mit dem Nähgarn in der Tasche verlassen wir den Laden. Kaffee in Bosnien trinken gehört einfach dazu und so essen wir viel zu süße Torte, trinken Kaffee, genießen die Atmosphäre von Sarajevo und zahlen wie versprochen im Anschluss unser Nähgarn.

Auf dem Heimweg kaufen wir noch schnell ein paar Früchte auf einem kleinen Markt an einer Bahnstation ein. In manchen Ländern würden wir uns hier nicht herwagen. Es ist dunkel, ein wenig merkwürdig, aber die zusammenpackenden Händler sind freundlich. Mit Hand und Fuß verständigen wir uns. Ein Markthändler hilft beim Übersetzen und sagt anschließend „In Bosnien muss man Bosnisch sprechen.“ Wir können lediglich zwei Worte „Stravo“ „Hallo“ und „Hvala“ „Danke“. Sie lachen und rufen uns laut „Stravo“ und „Hvala“ hinterher. Die Eindrücke des Tages haben uns erschöpft und schon fast ein wenig überwältigt. Wir freuen uns auf unser gemütliches Zuhause. Dort werden wir nicht von Juli empfangen, auch Hava schaut nach uns und erkundigt sich wie unser Tag gewesen ist.

Nach zwei Nächten ist schon wieder Abreisetag. Wir dürfen Frieda noch für ein paar Stunden auf dem Grundstück stehen lassen, um in der Stadt noch einige Besorgungen zu machen. Bei unserer Rückkehr wartet Smil auf uns. Er gibt uns eine Tüte Äpfel aus dem eigenen Garten und zwei Sarajevo Bier als Andenken. Über die Einladung zu einem weiteren Stückchen Kuchen freuen wir uns und so sitzen wir kurzerhand später bei den Beiden im Wohnzimmer bei Kaffee und Kuchen. Die beiden haben auch für einige Jahre in Deutschland gelebt und sprechen sehr gut Deutsch. Wir unterhalten uns über die Unterschiede der beiden Länder, was wir in dem Land noch alles nicht gesehen haben und was wir an Bosnien in den paar Tagen lieben gelernt haben. Es ist die Großzügigkeit und Herzlichkeit der Menschen, ohne im Gegenzug etwas zu fordern. Sie sind ehrlich und gutmütig aus Überzeugung. Es sind die kleinen Dinge und so erzählt Hava ganz nebenbei, dass sie am Vortag, während wir in der Stadt waren, nach Juli geschaut hat, die im Wintergarten von unserem Ferienhaus geschlafen hat. Sie wollte sie kurz in den Garten lassen, aber Juli war zu müde und nicht interessiert.

Verrückt, aber es ist schwer sich loszureißen. Es ist schon spät. Wir müssen. Beim Gehen fällt uns ein, die Beiden bekommen noch Geld für das ganze Essen. Als Jasmin fragt, streichelt Hava Jasmin über die Wange, Smil tätschelt den Arm, beide lächeln und schütteln den Kopf. Zum Abschied umarmen wir uns. Während wir im Auto sitzen und winkend vom Hof fahren, müssen wir tief durchatmen. Das war irgendwie schwer.

Es gibt diese besonderen Reisemomente, in denen man so gerührt oder überwältigt ist in Situationen, in denen man nicht damit gerechnet hat. Manchmal sind es Anblicke der Natur, historische Stätten oder eben das Zusammentreffen mit Menschen. Dieser Abschied war einer. Neno hat bei seiner Tour erzählt, dass die Leute Sarajevo in der Regel aus drei Gründen kennen. Dem Attentat auf Franz-Ferdinand, dem Bosnienkrieg und den Olympischen Winterspielen 1984. Das wären zwei negative und ein gutes Ereignis. Er meint es wird Zeit für einen Ausgleich. Ein zweites positives Ereignis muss her. Wir finden das hat Sarajevo längst. Es sind die Stadt selbst und seine Einwohner. Es ist definitiv eine Reise wert.