#23 von wegen Transitland

Reisen mit Hund ist gleichbedeutend mit Reisen mit erhörtem organisatorischem Aufwand. Obwohl Juli stolze Besitzerin eines gut geführten EU Heimtierausweis ist, darf Sie zwar problemlos in die bald kommenden Drittlandstatten einreisen, ohne eine Blutuntersuchung, die belegt, dass sie über ausreichend Tollwutschutz verfügt aber nicht mehr so einfach zurück in die EU. Im ganzen Vorbereitungschaos zwischen Busausbau, Hochzeit und Kündigungen ist der Bluttest von Juli damals einfach untergegangen. Wir verwerfen also die Idee heute Wien anzusteuern und fahren nach Graz um dort den Test nachholen zu lassen. Die Stadt liegt im Süden Österreichs, an der slowenischen Grenze. Ein strategischer günstiger Reiseknotenpunkt für uns, um nach einem zweiwöchigen Schlenker über die Slowakei und Ungarn dahin zurück zu kehren. Außerdem soll das Wetter dort besser werden als in Slowenien, so gesehen kommt uns der „Umweg“ gerade recht.

Eine Stadt mit ausreichend ärztlicher Betreuung kann sich aber auch Jasmins Immunsystem nicht entgehend lassen. Auf dem Weg dorthin fühlt sie sich immer schlapper und ihre Stimme versagt. Ein kurzer Arztbesuch bestätigt unsere Vermutung einer Kehlkopfentzündung. Jasmin bekommt Bettruhe verordnet, während Dominik allein durch Graz streift. In den schönen Gebäuden in der Altstadt findet man hippe Cafés, schicke Restaurants und urige Läden. Direkt neben der Altstadt befindet sich der Schlossberg, auf dem einst eine Verteidigungsanlage gestanden haben soll. Der Berg bietet einen hervorragenden Blick über die gesamte Stadt.

Nach zwei Tagen Bettruhe geht es Jasmin ein wenig besser und wir beschließen weiter zu fahren. Wir halten in einem kleinen Dorf in Österreich, nahe dem Dreiländereck Ungarn, Österreich und Slowakei. Waren wir eben noch von Bergen umzingelt, schlendern wir nun durch flache Maisfelder und das soweit das Auge reicht. Im Dorfladen finden wir frisches Gemüse und die Zutaten für einen Apfelkuchen. Haben wir in Skandinavien die Eier für den Kuchen noch mit der Gabel aufgeschlagen, haben wir für Teil 2 der Reise unser Equipment um einen Schneebesen erweitert. Eine lohnende Investition. Niemals war ein Kuchen so fluffig.

Unser Dorfcampingplatz ist ein optimaler Startpunkt, um am nächsten Tag die Burg Červený Kameň zu besichtigen. Die Burg stammt aus den 16. Jahrhundert und wurde die meiste Zeit durch die Augsburger Adelsfamilie Fugger bewohnt. Als wir dort eintreffen ist die nächste englischsprachige Führung erst für drei Stunden später angesetzt. Das schlechte Wetter und die Ungeduld verführen uns zu einem Sprachtest. Wieviel verstehen wir wohl von einer Schlossführung in einer Fremdsprache, die wir nie zuvor gehört haben. Die notwendigen Fakten zu den einzelnen Zimmern gibt es kurz und knapp in Deutsch schriftlich zusammengefasst. Klasse, das wird schon gehen.

Wir bezahlen die slowakische Tour. Der Herr an der Schlosskasse fasst in eines der zahlreichen Fächer hinter sich und händigt uns vier Seiten Fließtext, schwarzweiß, Tintenstrahldruck, auf Deutsch aus. Er beinhaltet einen Crashkurs über die Schlosshistorie und listet jedes Zimmer inklusive Herkunft der jeweiligen Möbelstücke. Das ist also unsere Führung. Unser Guide scheint ein witziger Kerl zu sein. Während seiner Tour erhält er für seine Erzählungen immer wieder kleine Lacher, vielleicht hätte er den Fließtext schreiben sollen. Die übrigen Teilnehmer stimmen scherzhaft mit ein. Slowaken scheinen ein humorvolles Volk zu sein. Nur eine handvoll der Teilnehmer scheint sich für ähnlich sprachbegabt gehalten zu haben wie wir und trabt mit uns immer lustloser von Raum zu Raum. Die Ersten versuchen schon nach drei Räumen zu türmen, aber einmal im Schloss, lässt der Guide den Touristen nicht mehr entkommen. Das Schloss ist schön, die Führung sicher auch, aber nach 90 Minuten Sprachschule nutzen wir die Gelegenheit des Ortswechsels zwischen Wohn- und Kellerräumen und fliehen. Wir fahren nach Pistian, dort wartet unser nächster Zeltplatz inklusive Ständchen slowakischer Camper auf uns. Es ist 16:00 Uhr nachmittags, die leeren Bierdosen und Schnapsflaschen scheinen ihre Stimmen geölt zu haben.

Das regnerische Wetter macht Jasmins Kehlkopf weiter zu schaffen. In Pistian müssen wir wieder pausieren. Arteten einfachste Kommunikationsversuche zu Beginn der Krankheit noch in wildes Gefuchtel aus, errät Dominik mittlerweile schon die wildesten Dinge binnen Minuten. Sicher hilfreich für das nächste Activity Spiel, aber für unsere Reise nicht förderlich. Wir müssen zurück nach Österreich, ein HNO Arzt soll helfen. Während in Deutschland ein Unwetter tobt, kämpft sich auch Frieda durch die Ausläufer des Sturms nach Wien.

Déjà-vu. Jasmin erhält Bettruhe und Medikamente. Dominik erkundet die Großstadt. In Wien erinnern die Gebäude, Schlösser und Kirchen der Stadt irgendwie an Dresden. Nur in einer modebewussten Version. So schön Wien aber auch anmutet, so touristisch ist es auch. Man bekommt kaum ein Motiv vor die Linse ohne Touristentrauben. Besonders auf dem Platz rund um die Domkirche St. Stephans wimmelt es nur so vor Menschen. Souvenirläden gibt es an jeder Ecke, getoppt wird die Szenerie nur durch ein riesiges Werbeplakat eines koreanischen Elektronikherstellers am Gerüst der Kirche. Manchen Firmen oder Werbetreibenden ist scheinbar nichts peinlich.

Während Dominik die Stadt erobert, kennt Jasmin sämtlich Fachärzte in der Nähe des Campingplatzes und den jeweils kürzesten Weg dahin, sie weiß, wann die Duschen warmes Wasser haben und wird vermutlich für die unfreundlichste Camperin auf dem Platz gehalten, da sie als Reaktion auf ein Grüßen immer nur Nicken und Lächeln kann. Verfällt der Nachbarcamper mal wieder in Smalltalk Laune, wird Dominik aus dem Bus gezogen, um die Konversation zu bestreiten. Höchststrafe für Jemanden, der Reden liebt. Ihre Wien Highlights sind die Erkenntnisse, dass uns zu unserem richtigen Camperglück Bademäntel fehlen – jeder Camper hat einen Bademantel für den Weg zum Waschraum, dass es kein Haustier gibt, das man nicht in ein Wohnmobil packen kann, wie z.B. einen psychotisch lachenden und sprechenden Papageien und der große Tourbus ein paar Parklücken weiter aus Großbritannien – bis zum Ende blieb die dazugehörige Band ein Mysterium.

Dominik, mittlerweile satt vom Sightseeing in Wien, freut sich über eine Abwechslung und besucht das hiesige Eishockey Team. In einem munteren Spiel bezwingen die Vienna Capitals das ungarische Team Hydro Fehérvár AV19 mit 6:1. In der ersten österreichischen Eishockey Liga ist auch je ein Team aus Ungarn, Tschechien, Italien und Kroatien vertreten. Wien selbst ist natürlich primär für die künstlerische Seite bekannt als für die sportliche. Daher ist ein Besuch im Klangmuseum naheliegend. Das Museum befindet sich in einem typischen Wiener Haus und bringt mit interaktiven Elementen die klassische Musik näher. Bereits auf der Treppe zum ersten Stock, wird auf den Stufen die Tonleiter erklärt. Sie erzeugen je einen Ton. Die darauf herumspringenden Kinder sorgen für einen enormen Krach im Treppenhaus. Die erste Etage ist den jeweiligen Leitern der Wiener Philharmonie gewidmet. Außerdem kann man dort seinen eignen Walzer zusammen Würfeln. Was Dominik dort mit den anderen Gästen kreiert ist gar nicht so übel, kann aber mit den Werken der dort ausgestellten Meister nicht mithalten. Diese sind vertreten durch Exponate wie: mit den Notizen von Beethoven, dem Taktstab von Richard Strauß, dem Klavier von Schubert, der Geige von Hayden, Briefe von Mozart…

So schön Wien auch ist, scheint es nicht die besten Voraussetzungen für eine baldige Heilung von Jasmins Infektion zu sein. Mit einem neuen Supermedikament ausgestattet fahren wir in eine Ferienwohnung in Slowenien. Diese verspricht Ruhe, Erholung und eine hoffentlich baldige Heilung.