#51 getrennt in Chiang Mai (2/2)- Jasmin

Chiang Mai aus Jasmins Sicht.

Um 08:30 werde ich beim Drei Königs Denkmal abgeholt. Ich bin unfassbar aufgeregt, es ist das erste Mal, dass ich nach so vielen Monaten wieder allein unterwegs bin. Dominik begleitet mich noch in die Innenstadt. Von hier trennen sich unsere Wege für die nächsten sechs Tage.  Die ersten Teilnehmer des Suan Sati Yoga Retreats warten bereits. Eine der Yoga Lehrerin begrüßt mich und umarmt mich zur Begrüßung. Ok, hier wird offensichtlich geknuddelt. Noch schüchtern starten die ersten Konversationen. Es dauert nicht lang und schon werden unsere Backpacks auf die Dächer der drei gelben Gruppen-TukTuks geschnallt und wir brechen auf Richtung Reisfelder. Die Aufregung steigt, meine Übelkeit mit. Das seitliche Fahren in den TukTuks macht mir in der Stadt nichts aus, aber die Fahrer sind nicht zimperlich, wenn es über die Landstraße geht. Erleichtert und neugierig steige ich vor dem Eingangstor aus. Die nächsten Umarmungen folgen, Tee und Obst warten zur Begrüßung auf uns. Es folgt eine kleine Einweisung, kleine Regeln für unser Zusammenleben und die Anmeldung. Da ich nicht wusste, wie ich eine Woche veganes Essen und 6 Tage Sport verkrafte, habe ich mich für das Zwei-Bett Rundhäuschen entschieden. Meine Zimmernachbarin ist eine Finnin wirkt auf den ersten Blick sympathisch und wie unsere Lehrer uns in der Eröffnungszeremonie am Abend versichern, gibt es einen Grund warum diese Gruppe so zusammengekommen ist und wie sich herausstellt auch, dass wir zwei Zimmernachbarinnen geworden sind.

Der erste Tag war unfassbar aufregend. So viele Eindrücke. Das Gelände und die Unterkünfte könnten nicht schöner sein. Seit Wochen habe ich nicht mehr so gut gewohnt. Das vegane Essen ist eine Offenbarung und ein mir bislang völlig unbekannter Geschmack, die erste Yoga Stunde am Abend für den Einstieg gut, wenn auch die Stimme der Lehrerin gewöhnungsbedürftig ist. Die Eröffnungszeremonie am Abend ist ein schönes Ritual, um in die nächsten Tage gemeinsam zu starten. Die Worte der Lehrer sind einladend und regen zum Nachdenken an. Wir sollen behutsam miteinander umgehen und respektieren, wenn sich Teilnehmer der Gruppe abschotten. Wir wissen nicht welche Erfahrungen sie gemacht haben, ob sie eine schwere Krankheit überstanden haben oder noch überstehen oder welche Schicksalsschläge sie eventuell verarbeiten. Und während wir im Kreis sitzen und in die fremden Gesichter der anderen schauen, gewinnen diese Sätze irgendwie an Bedeutung. Reihum beantworten wir die Fragen, warum wir hier sind und was wir hoffen, wie wir das Retreat verlassen werden. Ich bin überrascht von diesem mentalen Tiefgang, ich hatte irgendwie eine Woche Sport erwartet. Und überrascht, wie froh ich bin mich dieser persönlichen Herausforderung stellen zu können.

Der zweite Tag beginnt früh, wirklich früh. Halb schlafend schleppen wir uns unter dem Zirpen der Grillen im Dunkeln über die Reisfelder zur Yogashalla. Mit Taschenlampen leuchten wir den Weg. Es ist 06:00 und unfassbar frisch. Trotz langer Yoga Hose, Socken, Jacke und Tuch friere ich. Die Anfangsmeditation im Sitzen fällt mir schwer, zu müde ist der Körper. Ich ertappe mich selbst beim Wegnicken. Die Bewegungen steigern sich und werden flüssiger bis sie nur noch Kraft fordern. Ist meine letzte Yoga Stunde in der Heimat zwar schon ein wenig her, ist dieser Unterricht doch ein wenig anstrengender als erwartet, dennoch friere ich bis zum Ende. Ich habe 10 Minuten bis zum Frühstück, reiße mir die Kleidung vom Leib und stehe im kalten Bad. Jetzt nur noch heiß duschen. Das Gelände wird autark betrieben. Was auch immer gerade alle ist, es kommt kein Wasser. Beim Spülen der Toilette fällt mir die Ermahnung bei der Einweisung ein, das in einem solchen Fall genau ein Spülvorgang möglich ist. Ups. Kleidung also wieder an, um eine extra Lage ergänzt und auf zum himmlischen Frühstück.

Schweigend sind wir in den Morgen gestartet, schweigend begeben wir uns zum Frühstück, versammeln uns im Kreis, atmen gemeinsam und lauschen den besinnlichen Worten der Yoga Lehrer. Wir bedanken uns für das Essen und Starten mit Obst, Müsli, Cocospancakes und Schokosauce in den Tag. Ich merke, wie mir schon die erste Morgen-Yoga-Stunde alles abverlangt hat und schlafe den ersten Vormittag in einer Hängematte. Ich verpasse zwei kleine Workshopeinheiten, besinne mich auf die Worte am Vorabend und erinnere mich, warum ich hier bin. Ich will die 6 Tage körperliche Anstrengung durchstehen. Jede notwendige Regeneration nutze ich also. Das Mittagessen wird zum Austausch genutzt. Eine feste Sitzordnung gibt es nicht, jede Mahlzeit mischen sich die Tischnachbarn neu durch. Es ist belebt und Reisetipps und Routen werden ausgetauscht. Kaum jemand ist hier nur für einen Urlaub, viele reisen zwischen zwei Jobs oder haben wie wir gekündigt. Mit Gleichgesinnten umgeben zu sein, ist schön. Die abendliche Yogastunde überstehe ich erstaunlich gut, habe ich das Tagesprogramm verschlafen, nehme ich zumindest am ersten Abendprogramm teil. Nach ein paar Partnerübungen finden wir uns in kleinen Gruppen zusammen und sollen gemeinsam Fragen beantworten. Die erste Frage lautet: „Wofür schämst du dich?“ Uff, was für ein Einstieg. Bin ich der englischen Sprache auch mächtig, ist das doch eine Liga zu hoch für mich. Unsere Gruppe schlängelt sich so durch. Ich bin nur noch müde. Mein Englisch wird zunehmend schlechter die anderen drei quasi Nativ-Speaker müssen ständig Worte raten. Nach 90 Minuten, statt geplanten 60 Minuten, haben wir es endlich geschafft. Die Idee war nett, aber für mich zu viel für den zweiten Abend. Ich schlafe sofort vor Erschöpfung ein.

Auch am dritten Tag weckt uns der Gong um 05:30 erbarmungslos. In die Sachen zu schlüpfen fällt leichter. Wieder turnen wir schweigend durch den Morgen. In der Yogastunde werde ich das Gefühl nicht los, die Einzige zu sein, die in der herabschauenden Hundeposition nur Qual statt Entspannung findet. Immer wieder sacke ich zwischen den Übungen auf meiner Matte zusammen. Mir geht das zu schnell. Erleichtert erreiche ich die Abschlussentspannung. Nur noch drei Tage Sport. Mein Magen krampft. Ich glaube, mein Körper möchte mir etwas sagen. Es folgt, die Hängematte. Beim Mittag versammelt sich an einem Tisch durch Zufall eine deutschsprachige Runde. Wir sind alle erleichtert, uns endlich einmal in der Muttersprache austauschen zu können. Nicht nur ich strauchle mit der Sprachbarriere. Haben sich die Themen vom Reisesmalltalk zu tiefgründigeren, was ist deine Geschichte, Fragen entwickelt, wird es doch schon schwer in einer Fremdsprache Befindlichkeiten und Feinheiten auszudrücken. Es dauert keine 10 Minuten, da setzt sich eine unserer Yoga Lehrerin an den Tisch. Das wars dann also mit dem Deutsch. Es ist eines der schönsten Mittagsessen, denn der Austausch über Yoga und unseren Weg dahin, ist offen und bei jedem Einzelnen interessant. Ich bin mir nicht sicher, ob Yoga zukünftig auch meine Art der Bewegung sein wird. Irgendwie finde ich hier gerade nicht so richtig Freude daran. Es folgt eine Yin-Yoga Stunde am Abend und da ist es plötzlich. Das habe ich die ganze Zeit gesucht. Darauf habe ich gewartet. Die Art der Bewegung ist genau meine Form der Entspannung. Die Stunde endet mit einem kleinen, selbst gespielten und wie wir später herausfinden selbst komponiertem Gitarrenstück. In der Shala kullern hörbar Tränen. Die Sonne geht am Horizont unter. Ich genieße nur.

Tag 4. Das Aufstehen wird leichter, das Bewegen zunehmend schwerer. Noch nie war ich so frustriert in einer Yoga Stunde. Die Lehrerin redet ununterbrochen. Ich hänge gefühlt immer eine Bewegung hinterher. Schaue ich meiner rechten Mattennachbarin ins Gesicht, sollte ich gerade eigentlich den Rücken der linken Mattennachbarin sehen. Der doofe herabschauende Hund schmerzt, die Knie zittern. Ich kann nicht mehr. Selbst die im Hintergrund aufgehende Sonne, kann mich heute nicht trösten. Ich bin kurz davor wie ein Kleinkind mit meinen Yoga Klötzen, um mich zu werfen und einfach zu gehen. Ich überlebe die Stunde, irgendwie. Der Austausch mit den anderen am Mittag heitert mich langsam auf. Ich entdecke auf meinem Schreibtisch eine kleine Notiz von meinem Guardian Angel. Ich kann nicht anders, ich muss schmunzeln. Am ersten Abend hat jeder von uns einen Zettel mit einem Namen gezogen. Heimlich sollten wir versuchen dieser Person während des Retreats etwas Gutes zu tun. Und obwohl ich vermute zu wissen, wer mein Engel ist, freue ich mich darüber. Natürlich ist es offensichtlich, wenn jemand anderes freiwillig deine Yoga Matte säubert, dein Geschirr wäscht oder dir sonst irgendwie hilft, aber schon allein die Gesten in der Gruppe zu beobachten, lässt einen lächeln. Und so entwickelt sich Tag 4 plötzlich zu DEM Tag. Er wandelt sich Stück für Stück und endet mit einer Bakhti Yoga Einheit. Unbeschreiblich schön, unsere Lehrerin singt zum Ende. Ich bin hin und weg. Es ist eine Einstimmung auf das heutige Abendprogramm. Wir singen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich jemals mitten zwischen Reisfeldern in einem Kreis mit fremden Menschen sitze und Lieder über indische Götter singen werden. Wir trällern nicht nur, es hallt klar heraus. Alle wippen mit geschlossen Augen mit. Wenn das jemand sehen würde. Noch nie habe ich mich als eine von „denen“ betrachtet, als eine vegane Minimalistin, die sich mehr auf Mensch und Natur konzentrieren möchte, aber verdammt tut das gut.

Der fünfte Tag erlangt mit seiner Nachmittagsaktivität den Rang des besten Erlebnisses. Heute ist es heiß, der Mittagsworkshop zum Erlernen einer Atemtechnik endet gerade und als nächstes dürfen wir zur Regeneration in ein Fass voll Eiswasser steigen. Zumindest wechsle ich in meinen Bikini, klingt unterhaltsam. Unsere Gruppe steht mit Handtüchern bewaffnet um den Bottich und sieht zu, wie Eiswürfel in das kalte Wasser gekippt werden. Dann wird die eigentliche Herausforderung erklärt. Zu viert steigen wir in den Bottich. Die Zeit läuft erst, wenn alle vier mit den Schultern untergetaucht sind. Sechs Minuten sollen wir im Wasser bleiben. Ruhiges Atmen wird uns dabei helfen die eigentlich schmerzvollen ersten 90 Sekunden zu überstehen. Die erste Gruppe ist schnell gefunden. Sie nimmt es im wahrsten Sinne des Wortes sehr „cool“. Im Hintergrund ertönt der Song „Ice, Ice, Baby“. Als die Gruppe es geschafft hat, werden sie bejubelt und gefeiert. Die Stimmung spornt an. Und so steigt eine Gruppe nach der anderen in das Fass. Ich kann mich nicht durchringen und dann ist der Moment da. Ohne darüber nachzudenken steige ich mit drei der anderen deutschsprachigen Mädels in das Fass. Wer glaubt kaltes Duschen oder ein Eisbad nach der Sauna kommt dem Nahe, irrt sich. Ich ringe mit mir. Merke wie ich hyperventiliere und das Anfeuern und Schreien um mich herum nur noch verschwommen wahrnehme. Ein spitzer Schmerz durchzieht meinen Körper. Plötzlich sehe ich das Gesicht meiner Zimmernachbarin, sie schaut mich völlig ruhig an und brüllt: „Du musst atmen, nur atmen“ Und plötzlich fange ich an zu „atmen“. Wir schaffen die sechs Minuten, alle vier. Ich bin jemand, der schnell zweifelt und sich oft überwinden muss. Mitten in dem Eiswasser war ich mir sicher, dass ich diesen Schmerz nicht aushalte. Als ich aus dem Wasser stieg kullerten mir vor Erleichterung die Tränen. Ich war stolz.  Am letzten Tag bei unserer Verabschiedung sagt mir eines der Mädchen, dass mein Kampf im Eiswasser eines der Highlights für sie war. Offensichtlich fiel es unserer Gruppe besonders schwer darin sitzen zu bleiben, aber je mehr wir mit uns rangen, desto mehr hat uns die Gruppe angebrüllt. Es fühlte sich wie ein gemeinsamer Sieg an. 

Der Abschied am nächsten Tag kam dann wie immer schneller als erwartet, vor allem für meine Zimmernachbarin. Sie war der vollen Überzeugung noch einen ganzen Tag zu bleiben. Völlig überrascht stopft sie ihre Kleidung in das Backpack. Wie wir begonnen haben, so enden wir. Sitzen im Kreis und strahlen. So eine Woche das macht tatsächlich etwas mit einem. Obwohl man sich nicht kennt, teilt man ähnliche Geschichten. Der Ort ermöglicht es Dinge offen auszusprechen oder einfach nur zu genießen. Wir haben auf unserer Weltreise so viele schöne Dinge erlebt, aber das hier war etwas besonders für mich. Nur für mich. Während der Verabschiedung stehe ich mitten drinnen. Um mich wird gedrückt und nette letzte Worte mit auf den Weg gegeben. Und ich denke, ich will mir das hier merken. Es ist der Ort, an dem ich Zeit hatte zu merken, wie verdammt cool unser Leben ist und das ich glücklich bin. Einfach so.

Die Rückkehr ist schwer, aber schon seit gestern dränge ich darauf Dominik zu sehen. Es gibt vermutlich schlechteres nach fünf Jahren Beziehung. Wir treffen uns mittags in Chiang Mai in unserer vorherigen Unterkunft wieder. Das erste Mal für „so lange Zeit“ getrennt, haben wir uns reichlich zu erzählen. Als wir mit dem gegenseitigen Austausch fertig sind, ist es auch schon Abendbrotzeit. Wir müssen schnell speisen, sind wir noch mit Solveig und Daniel, zwei Bekanntschaften aus Dominiks Hostel, zum Pub Quiz verabredet. Ein lustiger Abend, dessen versöhnlichen Ausklang (Platz 9 von 13) wir vor allem, einem uns wohlgesonnenen, niederländischen Kellner zu verdanken haben sowie dem guten englischen Wortschatz von Daniel.

Da derzeit eine gute Reisezeit in Thailand ist, haben wir erneut Glück und treffen uns mit Bekannten auf des der Heimat. Nachdem Treffen mit Sebastian und Franzi in Bangkok, treffen wir heute mit Jasmins ehemaligem Chef. Dieser ist auf dem Weg zu 197 besuchten Ländern gerade auf Station in Südostasien. Wir genießen es erneut Reisegeschichten und Heimatanekdoten auszutauschen. Eventuell schaffen wir es in Luang Prabang erneut.